Eiswürfel in Ihrem Bellini, was sonst?
Der Mann im leuchtend blauen Overall hat seinen großen Rucksack am Ufer der Dranse de Ferret abgestellt, einem reißenden Gebirgsbach in der Nähe von La Fouly im Kanton Wallis in der Schweiz. Frédéric Gillet hat seine Wanderschuhe aufgeschnürt, die dicken Wollsocken ausgezogen und stapft in das eiskalte Wasser, um gegen die starke Strömung anzukämpfen. In der Hand hält er eine Art langes Netzgewebe, das er im Wasser hält - und sich selbst hauptsächlich im trockenen, zumindest ist das der Plan!
Es ist Anfangs Juni, die Sonne scheint, aber die Luft ist noch kühl, und wir befinden uns am Fuße des Mont-Blanc-Massivs. Es steht für ewigen Schnee, eine unberührte Natur und ist stolz darauf, das höchstgelegene alpine Gebiet Kontinentaleuropas zu sein. Ein beliebter Spielplatz für Bergsteiger, Kletterer, Skifahrer und Wanderer aller Art.
Doch heute ist Frédéric nicht wegen des Outdoor-Spaßes hier. Er gehört zu einem wissenschaftlichen Team der Université Savoie Mont Blanc in Chambéry, Frankreich, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Menge an Mikroplastik im Schmelzwasser von Gletschereis und Schnee zu messen, und das in einer Umgebung, die größtenteils frei von direkten Plastikverschmutzungsquellen ist. Sie haben auf 18 Gletschern des Massivs Proben genommen, und die Ergebnisse sollen Ende 2021 vorliegen.
Was wir aber schon jetzt wissen, ist, dass Mikroplastik überall ist. In der Luft die wir atmen, im arktischen Eis und in den entlegensten Teilen der Tiefsee. Es ist nachweislich in unseren Lebensmitteln und in unserem Körper eingedrungen. Winzige giftige Plastikteile, die ständig in kleinere Partikeln zerbrechen und schließlich die Zellmembranen durchdringen können, arbeiten sich die Nahrungskette hinauf und landen auf unseren Tellern. Es handelt sich wahrscheinlich um eines der größten Umweltprobleme unserer Zeit.
Synthetische Textilien sind eine der Hauptquellen für die Wasserverschmutzung durch Mikroplastik und machen 35 % des gesamten Volumens aus. Mit jedem Waschgang gelangen unzählige Plastikfasern aus den Waschmaschinen in die Flüsse und Meere. Laut einer Studie der University of California in Santa Barbara setzt eine Stadt von der Größe Berlins eine waschbedingte Menge an Mikrofasern frei, die etwa 500'000 Plastiktüten entspricht - und das jeden Tag.
Frédérics abgestumpfte Füße sind knallrot, als er sein Netz ans Ufer des Baches zieht, aber er schafft es, das Gleichgewicht zu halten und ansonsten trocken zu bleiben. Der dunkle, zusammengepresste Schlamm in der Socke am Ende seines Netzes besteht aus mineralischen, organischen und plastischen Ablagerungen. Zurück im Labor wird eine starke Oxidation die organischen Elemente auflösen, und das Mikroplastik wird mit einer speziellen Lösung, die mit der Dichte des Sediments arbeitet, isoliert.
Durch die Bestimmung der genauen Zusammensetzung des Mikroplastiks und möglicherweise seiner Herkunft kann diese Studie erste Antworten auf die problematische Frage liefern, wie diese Teilchen in den Schnee und das Eis der Mont-Blanc-Gletscher gelangt sind.
Frédéric wird mit seinem Team im Jahr 2022 für eine weitere Studie auf den Berg zurückkehren. Dann werden sie die Ergebnisse vergleichen und hoffentlich Lösungen vorschlagen können. Und vor allem: die lokale und regionale Bevölkerung darauf sensibilisieren.
Es wäre schön zu wissen, dass die Eiswürfel in dem Cocktail, das wir an einem heißen Sommernachmittag schlürfen, nur aus reinem, gefrorenem Wasser bestehen.